Presseartikel:
am 2. März "Allgemeiner Anzeiger" Wochenblatt für Thüringen
2016
Interview von Steffen Weiß meinanzeiger.de vom 02.06.2012 |
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Modistin Sandra Kaiser
Wie ist das Leben als Modistin, Frau Kaiser?
„Wie ich sehe, haben Sie die Frage bereits korrigiert. Eben hatten Sie ja noch gefragt, wie ist das Leben als Hutmacherin, Frau Kaiser? Ich mache zwar Hüte, aber ausschließlich nur Damenhüte. Dieser Beruf wird als Modistin bezeichnet. Ein Hutmacher stellt ausschließlich Männerhüte her und das eher maschinell“, klärt Sandra Kaiser auf - aber keinesfalls mit erhobenen Zeigefinger, sondern mit gewohntem Lächeln auf dem Gesicht.
Ursprünglich hat sie den „gewöhnlichen“ Beruf der Einzelhandelskauffrau gelernt. Wieso dann noch eine zweite Lehre in einem exotischen Beruf? Die Haut der Rothaarigen ist sozusagen daran „schuld“. Sie reagiert allergisch auf Sonne. Sämtliche Versuche, für sich einen passenden Hut im Handel zu finden, verliefen eher ernüchternd. Die Ergebnisse, selbst einen herzustellen, ebenso. „Dann muss ich das eben lernen“, hat sie irgendwann mal für sich konstatiert und machte sich auf den Weg. So hat Sandra Kaiser 1999 eine zweite Lehre als Modistin im Hutsalon von Ruth Stoll im südbadischen Bad Säckingen absolviert. Ruth Stoll war damals bereits 81 Jahre alt und stellt heute immer noch exzellente Damenhüte in Handarbeit her. Drei Jahre dauert normalerweise eine derartige Lehre. Sandra Kaiser hatte bereits nach anderthalb Jahren den Gesellenbrief in der Hand.
Ausgefallene Stücke, ohne zu wissen für wen, stellt die in Pottiga (Saale-Orla-Kreis) lebende Modistin für Ausstellungen her. Dabei betrachtet sie sich weniger als Handwerker, sondern eher als Künstler. Ansonsten sind es Damen, die bei ihr Hüte in Auftrag geben. Fast ausnahmslos soll der Hut bei einer Veranstaltung, meist einer Hochzeit, getragen werden. Genaue Vorstellungen seitens der Auftraggeberinnen? Fehlanzeige! So muss die Modistin abchecken, zu was für einem Kleid der Hut passen, ob er tagsüber oder abends getragen werden soll, drinnen oder draußen. Und dann hat sie freie Hand und kann ihre Kreativität unter Beweis stellen. Und? Ging’s schon mal schief? „Bis heute nicht“, freut sich Sandra Kaiser.
In ihrer direkten Umgebung waren es bislang nur Pfarrerfrauen, Ärztinnen und Apothekerinnen, die Hüte bei ihr in Auftrag gegeben haben. Ansonsten sind es Künstlerinnen und ältere Damen der High Society, die Wert auf Ästhetik legen. Die es zu schätzen wissen, auf eine Modistin zu treffen und Wert auf Handarbeit legen.
Apropos Handarbeit. Wie entsteht denn ein Hut? Als erstes fertigt die Modistin eine Grundform aus Holzmasse, sozusagen ein Abform des Kopfes der künftigen Trägerin. Die Krempe wird per Hand aus einem Stück gezogen. Bei Filzhüten verwendet Sandra Kaiser fast ausnahmslos Hasenhaar. Bei Strohhüten kommt unter anderem Panamastroh, Sisol, Sinamay und Buntalstroh zum Einsatz. Beim Formen des Materials legt sie Wert darauf, es am Leben zu lassen. Chemische Appreturen kommen nicht zum Einsatz. Wenn notwendig, verwendet sie Schellack – das Sekret der weiblichen in Indien vorkommenden Lackschildlaus. Geformt wird über heißen Wasserdampf. Nach dem Trocknen steht stundenlanges Nähen an. Danach wird die Oberfläche glanzgebügelt beziehungsweise abgerieben. Dieser Schritt kann auch schon mal mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Im Schnitt dauert ein einfaches Modell 25 bis 30 Stunden. Teilweise werden die Hüte dann noch mit Garnituren verziert. Großer Fan davon ist Sandra Kaiser nicht. „Normalerweise werden mit Garnituren schlechte Nähte versteckt. Die gibt es bei mir aber nicht“, erklärt sie.
Bis auf die ab und zu auftretenden Brandblasen an den Händen ist Sandra Kaiser begeistert von ihrem Beruf: „Es ist eine kreative Arbeit. Ich kann meiner Fantasie freien Lauf lassen“. Fairerweise sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich in der ländlichen Gegend Ostthüringens nur schwer davon leben lässt. So stockt sie ihre Einkünfte seit Jahren mit Kursen für Wollverarbeitung wie Färben, Kämmen, Verspinnen auf der Handspindel und Verweben auf, ergänzt von Vorführungen der textilen Künste und als Modistin auf Mittelalter- und Handwerkermärkten, demnächst am 16. Juni zum Marktfest in Wurzbach.
Ach ja, da gab es ja noch den Aberglauben der Modisten/Hutmacher: Lege niemals einen Hut auf einem Stuhl ab, dann kann man ihn nicht mehr verkaufen.
Und übrigens wurden die Hutmacher/Modisten in Pestzeiten von der tödlichen Krankheit verschont. Das lag an den bleihaltigen Substanzen, mit denen gearbeitet wurde.
Und die die Hutmacher haben einen Schutzpatron, den Heiligen Jakobus. Demzufolge ist der Tag des Heiligen Jakobus am 25. Juli auch der Tag der Hutmacher.
Hut ab!
Spätestens seit den letzten royalen Hochzeiten wird deutlich, dass frau wieder Hut trägt. Der Hut gilt sozusagen als das I-Tüpfchelnen in der Frauengarderobe. Viele Jahrzehnte eher stiefmütterlich betrachtet, sind Hüte derzeit wieder stark im Kommen. Immer häufiger ist auch zu sehen, dass Brautpaare - vor allem bei Sommerhochzeiten - ein Dress Code, der einen Hut mit beinhaltet, an die Gäste stellen. Einzelstücke werden von kreativen Köpfen gefertigt: dem Modist/der Modistin.
Sandra Kaiser wurde zur Modistin von Ruth Stoll, Rheinbrückstraße 32, 79713 Bad Säckingen, ausgebildet. Seitdem firmiert sie unter dem Namen HEXPERIMENTS®. Kontakt Sandra Kaiser: Telefon 036642/29657.
Eine offizielle Berufsschule, an der man Modist/Modistin lernen kann, gibt es seit rund zehn Jahren in Deutschland nicht mehr. Interessenten werden nur noch von Meisterbetrieben ausgebildet. Es gibt etwa 200 Modisten in Deutschland. Größtenteils arbeiten in diesen Werkstätten ein Meister und ein Geselle. Die Meisterbetriebe erfahren Interessenten über die Handwerkskammern beziehungsweise in der einzigen in Deutschland verblieben Landesinnung der Modisten Baden-Württemberg, Alexanderstraße 126, 70180 Stuttgart, Telefon 0711-606462, Fax 0711-6200260, E-Mail: modisten-handwerk-bw@t-online.de, Obermeisterin Kornelia Edelmann, Geschäftsführerin Marina Roder, Bürozeiten Mo-Mi 9.00- 13.00. Mehr Informationen im Internet unter www.modisten.com.
Gegenstand der Berufsausbildung sind mindestens die folgenden Fertigkeiten und Kenntnisse:
1. Berufsbildung, Arbeits- und Tarifrecht,
2. Aufbau und Organisation des Ausbildungsbetriebes,
3. Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit,
4. Umweltschutz,
5. Planen und Vorbereiten von Arbeitsabläufen,
6. Umgang mit Informations- und Kommunikationstechniken,
7. Umgang mit Kunden,
8. Handhaben und Warten von Arbeitsgeräten, Werkzeugen und Maschinen,
9. Entwickeln und Gestalten von Modellentwürfen,
10. Herstellen von Filz- und Strohhüten,
11. Herstellen von Kopfbedeckungen aus anderen Materialien,
12. Ausgestalten von Kopfbedeckungen,
13. Herstellen von Unterformen,
14. Kopieren von Kopfbedeckungen,
15. Aufarbeiten und Ändern von Kopfbedeckungen,
16. Durchführen von qualitätssichernden Maßnahmen.
Voraussetzungen:
Hauptschulabschluss, Realschulabschluss oder Abitur.
Handwerkliche und schöpferische Begabung, Neigung zu handwerklicher Präzisionsarbeit, Sinn für Formen und Farben, Aufgeschlossenheit für modische Entwicklungen, keine Hautempfindlichkeit, volle Sehfähigkeit.
Artikel von mein Anzeiger.de
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